Text/Foto: Alex Kühni

Am Ende der Welt: Die Antipoden der Schweiz im Südpazifik

Schöne Einöde auf der anderen Seite der Welt: Die Chathaminseln sind mit rund 19’500km die von der Schweiz am weitest entferne Zivilisation.

Wurde man von der Schweiz ein Tunnel diametral durch die Erdkugel graben endet man, entgegen gängiger Meinung nicht in China, sondern im Südpazifik in der Nähe der Chathaminseln. Die selbstverwaltende Inselgruppe gehört zu Neuseeland, ist selbst dort vielen Leuten kein Begriff und die am weitest entfernteste Zivilisation zur Schweiz.

Die Chathaminseln liegen rund 800 Kilometer östlich von Christchurch und behausen nur gerade 600 Einwohnern. Sie sind aussert einer mehrtägigen Seereise nur mit der Regionalfluggesellschaft Air Chathams zu erreichen. Diese fliegt mit einer Propeller-Maschinen auf der gleichnamigen Hautinsel zwei bis dreimal pro Woche, den kleinen Flughafen Tuuta an. Das Aufgabe- und Handgepäck wird nicht kontrolliert und beim Einsteigen herrscht freie Sitzplatz Wahl. Auf den nicht verkauften Plätzen wird Post und Lebensmittel ein- und Kühlbehälter mit Langusten ausgeflogen. Ohne Nebel kann man sich beim Landeanflug bereits ein erster Eindruck von diesem extrem Abgelegen Teil der Erde machen. Das türkisfarbene Meer trifft auf dramatischen Klippen, felsigen Küsten und langen Sandstränden, welche die wilde Schönheit der Inseln unterstreichen.

Blick über den Hauptort Waitangi, welcher ein Grossteil der rund 600 Inselbewohner behaust.

Wundersam fremde Landschaften auf der anderen Seite der Erde. Das torfhaltige Süsswasser der Insel vermischt sich mit dem klaren Südpazifik.

Nach der Landung, vorbei an windschiefen Bäumen, flachen Ebenen und niedrigem Buschland, erreicht man nach 20 Kilometer die grösste Ortschaft Waitangi. Waitangi, besteht aus einem am Meer gelegenen Hotel mit dem einzigen Pub der Insel. Auf einer Anhöhe befindet sich ein sporadisch geöffneter «Fish and Chips» Imbiss, einen Gemischtwarenladen, eine Tankstelle, ein Spirituosengeschäft und drei duzend Häuser. In der Bucht vor Waitangi ankert die Fischereiflotte, neben zwei grossen Benzinsilos liegt eine kleine Hafenanlage, in welcher dreimal pro Monat ein Versorgungsschiff ankert.

Ein von zwei Kirchen auf der Insel befindet sich an einer Sackgasse zwischen dem Spirituosenladen und dem Spital.

Simone Croon führt den einzigen Gemischtwarenladen auf der Insel. Ihrer beiden Schwestern sind die Besitzerin des einzigen Hotels und die Bürgermeisterin.

Verlässt man Waitangi, wechseln geteerte Strasse schnell auf Schotterspuren, welchen sich über die 900 Quadratkilometer Insel ausdehnen. Verirren kann man sich schlecht, alle Strassen enden schlussendlich in einer Sackgasse. Man passiert so selten andre Fahrzeuge, dass sich die Lenker zuwinkt. Schnell fahren ist gefährlich, da auf der Fahrbahn oft Herden von verwilderten Kühen stehen. Diese sind auf der Insel zu einem Problem für die Viehzüchter geworden. Die Viehzucht ist neben dem Fischfang die einzige Industrie und leidet unter der explodierenden Population verwilderten Rinder. Die Tiere reissen Zäune ein und machen dem domestizierten Vieh das rare Grass streitig. 2024 hat die neuseeländische Regierung Gelder gesprochen um der «Kuh-plage» Herr zu werden. So wurde ein kleinr Helikopter per Transportschiff auf die Insel verfrachtet und innert drei Monaten über 6000 wilde Kühe geschossen. Die Tier Kadaver können nicht eingesammelt werden und locken Aasfressende Wekarallen an, eine in ganz Neuseeland heimische prähistorisch anmutende, flugunfähige Vogelart.

Um den tausenden verwilderten Kühen auf der gleichnamigen Hauptinsel Chatham Herr zu werden, wurden 2024 über 6000 Tiere geschossen.

Die prähistorische anmutende Wekaralle ist eine auf den Chatham Inseln weit verbreitete flugunfähige Vogelart und ernährt sich hauptsächlich von Aas.

Nicht alle Einwohner der Chathaminseln sehen in dem Erschiessen der wilden Kühe die optimale Lösung. So zum Beispiel Arlette Lawson, welche den einzigen Entsorgungs- und Recyclinghof der Insel leitet. Sie gehört der indigenen Bevölkerung Neuseelands der Maori an und kritisiert das Vorgehen, welche nicht dem Lebensstil der Maori entspricht: «Auch wenn die Tiere zu einer Plage geworden sind, dienen sie zum Beispiel als Fleisch für unsere Herdenhund. Als Maori sehe ich in jeder Nahrungsquelle ‹Wairua› also der Geist, welche die Eigenschaft hat ‹hau ora› Wohlstand durch Nachhaltigkeit zu ermöglichen.». So Lawson, und weisst weiter auf die eigentliche Problemursache hin: «Die Inseln zieht Leute an, welche von einer Existenz fern ab in der Wildnis träumen und mit Geld viel Vieh anschaffen. Wenn sie dann merken, wie hart das Leben hier ist, gehen sie wieder und lassen die Tiere in der Wildnis zurück.».

Arlette Lawson ist stolze Maori und leitet den einzigen Entsorgungs- und Recyclinghof der Insel mit vielen Kreativen Lösungen. So werden zum bespiel defekte Waschmaschinen zu Gartengrills umfunktioniert.

Ein einzelnes Lam während eines Sturms, auf den Chatham Inseln regnet es im Durchschnitt an 200 Tagen im Jahr.

Für Sicherheit auf der Insel sorgen das Polizeiehepaar Lucie und Will Joines, sie teilen sich die 150 Polizei-Stellenprozent. Die Arbeit der beiden Polizisten beschränkt sich grösstenteils auf Alkoholkontrollen im Strassenverkehr und vereinzeln häusliche Gewalt so Lucie Joines. Muss jemand festgenommen werden helfen oft freunde des Ehepaars mit der vorgeschriebenen 24 Stunden Zellenüberwachung. Alle drei Monate wird ein Richter, Staatsanwälte, Gerichtsschreiber und Pflichtverteidiger eingeflogen, um eine Handvoll Anhörungen durchzuführen. Geht ein Gerichtsfall in einen Prozess über, muss der auf Neuseelands Hauptinseln verhandelt werden.

Das Polizisten-Ehepaar Lucie und Will Joines teilen sich die 150 Stellenprozent der Inselpolizei und können ihre Arbeit nur machen, weil sie sich gut in die gemeinde integriert haben.

Ein Grossteil der spärlich besiedelten Insel ist Landwirtschaftsgebet in Privatbesitz.

Die Insel hat eine eigene Zeitzone, 45 Minuten vor jener Neuseelands, und liegt so nahe an der Internationalen Zeitgrenze, das um Touristen mit dem Spruch «Als erster die Sonne sehen» geworben wird. Das raue Südpazifik Wetter welches innert 30 Minuten, mehrmals zwischen Sonnenschein, Hagel und Regen wechseln kann, lockt aber nicht viele reisende an. Auch der Fortschritt erreicht diesen abgelegen fleck Erde nur langsam, so gibt es erst seit etwas mehr als zwei Jahren ein lückenhaftes Mobilfunknetz, welches Einwohner ausserhalb des Hauptortes mit Satteliteninternet überbrücken. So haben viele Einwohner ihren eignen Spruch, um eine Reise auf die Chathamiseln zu beschreiben: «Wenn du hier ankommst, stellst du deine Uhr 45 Minuten nach vorne und reist 30 Jahre in die Vergangenheit».

Ein Autowrack am Strassenrand: von dem 179 Kilometer Strassennetz auf den Chatham Inseln sind nur gerade 13 Kilometer geteert.

Das 1919 im Vereinte Königreich gebaute Hochseefischerei-Schiff SS Thomas Currell wurde 1921 für den Fischfang vor Neuseeland erworben. Während des Zweiten Weltkriegs wurde sie zum Minenräumboot umfunktioniert und liegt heute als Wrack am Ufer der Chatham Insel.

Eine Kolonie von Neuseeland Seebären, einer der fünf heimischen Robbenarten auf den Chatham Inseln.

Philippa Ingram kam vor 40 Jahren als Funkerin auf die Insel, als dies noch die gängige Kommunikationsart war. Heute führt sie den einzigen Spirituosenladen, in Neuseeland «Bottle Shop» genannt, aus Ihrer Garage. Das Geschäft ist mit Mitbringsel aus der ganzen Welt geschmückt inklusive einer Trump-2024-Kappe.

Jeden Morgen als erster die Sonne sehen: Die Chatham Inseln liegen so nahe an der Internationalen Zeitgrenze das um Touristen mit dem Spruch «First to see the sun» geworben wird.